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25.10.2021

Klettertherapie in der Psychiatrie

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Im November startet in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der medius KLINIK KIRCHHEIM eine neue Therapieform: Therapeutisches Klettern.

Wir haben die Initiatorin und Organisatorin Cornelia Bahr, die im Pflegedienst der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie tätig ist, interviewt:
 

Liebe Frau Bahr, Sie arbeiten seit 2013 im Pflegedienst der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der medius KLINIK KIRCHHEIM. Was hat den Anstoß gegeben, dass Sie sich dem Thema „Klettertherapie“ angenommen und diese ins Leben gerufen haben?
Im Jahr 2019 durfte ich an einem Psychiatrie-Symposium teilnehmen. Dort gab es einen Vortrag zum Thema "Kletter- und Erlebnistherapie" von Alfred Mollenhauer, der diese Therapieform bereits etliche Jahre im Universitätsklinikum Tübingen anbietet.
Da mein Mann und ich selbst in unserer Freizeit klettern und sogar fast jeden Urlaub damit verbringen, hat mich dieses Thema einfach nicht mehr losgelassen.
Ich habe somit den Kontakt zu Herrn Mollenhauer gesucht. Dieser war ganz begeistert von meinem Vorhaben, eine Klettertherapie in den medius KLINIKEN anbieten zu wollen und sicherte mir umgehend seine Unterstützung zu. 
So kam es, dass er mich dazu einlud, erste Eindrücke vor Ort bei der Klettertherapie in Tübingen zu sammeln. Mit 2 Bussen und insgesamt 13 Patienten fuhren wir in eine große Kletterhalle – sogar mit Publikumsverkehr. Es war ganz fantastisch, die Patienten während dieser Zeit zu beobachten: Am Anfang waren sie sehr in sich gekehrt. Aber beim Klettern sind sie dann richtig aus sich heraus gekommen, haben sich gegenseitig gestärkt und angefeuert.
Das, was ich in Tübingen erlebt habe, hat mir gezeigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin und hat mich noch einmal darin bestärkt, alles dafür zu tun, um eine Klettertherapie in Kirchheim zu etablieren. Corona hat zu Beginn 2020 leider einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber nun bin ich stolz, dass wir im November mit der ersten Klettertherapie beginnen können. 

Ist das therapeutische Klettern nur eine von vielen möglichen Sportarten oder ist es gerade besonders bei psychischen Erkrankungen sehr geeignet? Können die Erfahrungen, die die Patienten beim Klettern sammeln auch in den Alltag übertragen werden?
Das therapeutische Klettern ist vor allem bei psychischen Erkrankungen sehr gut geeignet – gerade bspw. für Patienten mit Depressionen und Patienten, die kein Selbstvertrauen haben. 
Es handelt sich dabei um ein Achtsamkeitstraining für Probleme und Verhaltensweisen im Alltag. Unser Ziel ist es, den Alltag des Patienten positiv zu verändern und ihm zu helfen, dass er wieder ganz alleine Entscheidungen treffen kann.
Der Patient lernt bspw., sich seinen Ängsten „Schritt für Schritt“ zu stellen und angstbesetzte Situationen aufzulösen. Zudem lernt er, sich wieder mehr zuzutrauen – denn durch das Gefühl, etwas geschafft zu haben, steigt das Selbstbewusstsein. 
Ein weiterer Vorteil ist, dass soziale Fähigkeiten gestärkt werden. Zum einen vertieft das Klettern die Beziehung zur Betreuungsperson. Zum anderen findet das therapeutische Klettern auch in Gruppen statt und so motivieren sich die Patienten gegenseitig.

Frau Bahr, kurz gesagt: Welchen Mehrwert versprechen Sie sich durch die Klettertherapie bei den Patienten?
» Zutrauen zu sich selbst und anderen Menschen
» Erfolgserlebnisse
» Abbauen von Ängsten
» Überschreiten von Grenzen 
» Emotionale Stabilisierung und Entfaltung
» Stärkung sozialer Fähigkeiten

Worin liegt konkret der Vorteil des therapeutischen Kletterns auch im Vergleich zu anderen, etablierten Behandlungsmethoden?
Meines Erachtens hat jede Therapie ihre Vorteile, sei es bspw. Musik- oder Ergotherapie. 
Wichtig ist immer die Frage: Was passt zum Patienten? Denn die Therapie sollte auf den Patienten zugeschnitten sein.
Beim Klettern besteht die Hauptaufgabe darin, Vertrauen aufzubauen. Vertrauen in sich selbst, in andere Menschen und das Material.

Für welche Personengruppe ist die Klettertherapie geeignet? Müssen die Patienten auch körperliche Voraussetzungen mitbringen, sollten sie beispielsweise sehr sportlich sein?
Grundsätzlich wollen wir keinen Patienten von der Klettertherapie ausschließen. Jeder, der sich für die Klettertherapie interessiert, ist an und für sich herzlich willkommen.
Jedoch dürfen Patienten, die unter einer akuten Entzugssymptomatik leiden oder Selbstverletzungstendenzen aufweisen, leider nicht an der Klettertherapie teilnehmen.
Zudem muss beachtet werden, dass wir bisher nur Patienten sichern können, die nicht mehr als 20% unseres eigenen Körpergewichts haben. Auch wenn wir diesem Problem mit Gewichtssäcken etwas entgegenwirken können, versuchen wir zudem, noch ein Sicherungsgerät („OHM“) zu beschaffen, dass dafür sorgt, dass der leichte Sicherer den schweren Partner sichern kann, ohne ruckartig gegen die Wand gezogen zu werden. 

Wie wollen Sie die Patienten für die Klettertherapie begeistern?
Wir werden hier nicht selbst aktiv. Der Therapieplan wird von den Ärzten und Psychologen festgelegt. Somit haben wir bisher ausschließlich mit diesen gesprochen und ihnen die Klettertherapie vorgestellt. In diesem Gespräch haben wir sie dann auch darum gebeten, sich Gedanken zu machen, welche Patienten denn für die Klettertherapie in Frage kommen würden. Und die Ärzte und Psychologen sprechen somit nun mit den Patienten und legen die Therapiearten fest.

Wie viele Mitarbeiter sind denn bisher in der Klettertherapie involviert? Ist eine spezielle Ausbildung bzw. Weiterbildung notwendig, um therapeutisches Klettern anzubieten?
Wir haben momentan acht Mitarbeiter, die den Ausbildungsschein „Toprope“ absolviert haben. 
Prüfungsinhalte waren dabei richtiges Anseilen, Einlegen der Sicherung, Partnercheck und Selbstkontrolle, Ablassen sowie Toprope-Klettern. Somit sind unsere Mitarbeiter gut gerüstet, um die Patienten richtig betreuen zu können.

Wann und wie oft findet die Klettertherapie statt und wie viele Patienten können an der Klettertherapie teilnehmen?
Die Klettertherapie findet jeden Dienstag von 14:30 bis 16:30 Uhr statt. Wir haben direkt in Kirchheim eine kleine Kletterhalle vom DAV zur Verfügung gestellt bekommen, die in diesem Zeitrahmen ausschließlich für uns reserviert ist. Das heißt, bei einem Betreuungsschlüssel von 5:2 werden hier jeden Dienstag immer 5 Patienten und 2 Betreuer vor Ort sein. 

Wie funktioniert das therapeutische Klettern?
Nach Ankunft in der Kletterhalle werden wir zunächst mit Aufwärmübungen und verschiedenen Spielen beginnen, die den Patienten auf die Kletterwand vorbereiten. Dann folgt das eigentliche Klettern. Am Ende jeder Therapieeinheit werden wir noch ein kurzes Abschlussgespräch mit den Patienten führen.

Kommt es vor, dass Patienten auch Angst vor dem Klettern haben? Wie können die Patienten diese Angst dann überwinden?
Es wird bestimmt einige Patienten geben, die am Anfang Angst haben.
Aber wichtig ist es, ihnen zu vermitteln, dass es nicht das Ziel ist, direkt beim ersten Mal oben anzukommen. Man muss den Patienten dazu motivieren, sich kleine – und keine utopischen Ziele – zu stecken: Ziele, die für ihn auch erreichbar sind. 
Es geht nicht um Leistung – es geht um kleine Erfolge.

Bieten Sie auch noch weitere Bewegungstherapien an? Oder könnten Sie sich vorstellen, weitere Sportarten in die Bewegungstherapie mit einzubinden?
Bisher habe ich noch nie eine Bewegungstherapie angeboten. 
Jedoch ist neben dem Klettern Schwimmen meine große Leidenschaft. Hier bin ich beim DLRG aktiv. Ob das als Therapieangebot funktionieren würde, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich dann am ehesten in Form von Wassergymnastik. Aber sollte es irgendwann einmal die Möglichkeit geben, mit einzelnen Patienten schwimmen zu gehen, würde ich dies tun. 

Vielen Dank liebe Frau Bahr für den tollen Einblick in diese zukünftige Therapieform!

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Das Interview führte Salome Johnson, Kommunikation u. Strategie, medius KLINIKEN

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