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Tagebuch eines Neuanfangs

26.07.2021

Tagebuch eines Neuanfangs (4)

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Tagebucheintrag Nr. 4

8. Monat: April 2021

Nachdem ich im März meine ersten Nachtschichten absolviert hatte, fühlte ich mich nun auch darin deutlich sicherer. Ich konnte mit erfahrenen Kollegen auch öfter zu Notfällen im Haus laufen und fühlte mich während Reanimationen und Notfällen nicht mehr ganz so unbeholfen – auch wenn eine Situation nie der anderen gleicht und man nie weiß, was einen erwartet.

Im Laufe des Monats versorgte ich viele beatmete Patienten und konnte deren Werdegang kontinuierlich mitverfolgen. Die spezielle Situation der Patienten, die zumeist aufgrund von Covid noch isoliert waren, erforderte viel Kraft und Einfühlungsvermögen – besonders im Umgang mit den Angehörigen. Diese konnten die Patienten nicht besuchen, konnten sich nicht vorstellen, wie ihr Familienmitglied aussah, wie es ihm ging und was tagtäglich im Krankenhaus mit ihm passierte. Obwohl mich dies bereits in den vorherigen Monaten beschäftigt hatte, forderte es mich nun noch mehr. Diesen Moment, in dem ein Patient sich vor seiner Intubation und Sedierung von seiner Familie am Telefon verabschiedet, nicht wissend, ob er jemals wieder aufwacht, werde ich niemals vergessen.

9. Monat: Mai 2021

Mithilfe meiner Praxisanleiter, den anderen Kollegen und viel Literatur verstand ich mehr und mehr die Hintergründe der invasiven Beatmung, sodass ich mich auch mit anderen Beatmungstechniken sicherer fühlte. Zum Glück gab es nun weniger instabile und herausfordernde Covid-Beatmungspatienten. Diese waren aufgrund ihrer Erkrankung meist sehr komplex zu behandeln.

Zudem bekam ich nun noch einige Einweisungen in spezielle Geräte der Intensivstation und begleitete die ersten Praktikanten und Auszubildenden während ihres Einsatzes auf der Station.

10. Monat: Juni 2021

Die ersten warmen Tage brachen an und die Arbeit in den Isolationszimmern wurde noch strapaziöser als zuvor. Wir waren froh, nun zunehmend aufatmen zu können. Die Menge der Covid-Patienten nahm weiter ab, bis wir Ende Juni schließlich auch den letzten ursprünglich Covid-Erkrankten in die Reha verlegen konnten.
Ich konnte eine tolle Fortbildung zum Thema Beatmung besuchen und freute mich über den Austausch mit den anderen Kollegen, die kurz nach mir auf der Station angefangen hatten. Dies tat sehr gut, denn meist machten sie ähnliche Erfahrungen und fühlten sich ebenso unsicher wie ich.

Für die nächsten Monate wird nun die Einweisung in die Dialyse geplant, ein weiterer großer Schritt… Und ich hoffe nun, dass wir die großen Covid-Wellen überstanden haben und uns nichts mehr dergleichen erwartet.

In den letzten Monaten kam ich immer wieder an meine Grenzen, vor allem emotional. Ich musste oft an meine alte Station denken. Dort waren im Laufe der Jahre auch viele Patienten verstorben – auch viele, die ich über Jahre hinweg immer wieder versorgen durfte. Sie alle konnten jedoch im Beisein ihrer Lieben gehen – das war den Patienten während der Pandemie nicht möglich.

Auch hatte ich gedacht, dass wir Pflegekräfte durch Covid endlich von Politik und Gesellschaft gehört werden… Das ist meiner Meinung nach nicht passiert. Wir geben uns mit Vielem zufrieden, haben vielleicht auch nicht die Kraft, uns zu wehren, aber innerlich verzweifeln sicher viele Kollegen genauso wie ich an den Vorstellungen der Politik. Das Gesundheitswesen muss weiterhin für alle zugänglich sein – es darf kein Wirtschaftsbetrieb werden, in dem alles, was Menschlichkeit und Werte betrifft, wegrationalisiert wird. Ich liebe meinen Beruf und hoffe, dass es trotz alldem auch in Zukunft noch Menschen gibt, die sich für diesen begeistern können.

Fortsetzung folgt... ​

 

Text: Josefine Pörtner, Gesundheits- und Krankenpflegerin auf der Intensivstation der medius KLINIK KIRCHHEIM

 

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